Die Tech Exploration war ein 6-wöchiges Projekt der Bertelsmann Stiftung, bei der vier ausgewählte Organisationen aus der Freien Wohlfahrt mit acht ausgewählten Tech Expert:innen aus den Bereichen Produktmanagement sowie Software-, UX- und Service Design in Tandems Anwendungsideen von algorithmischen Systemen für die jeweiligen Wohlfahrtsverbände erforschen.
In unserem Team arbeiteten wir eng mit der Paulinenpflege e.V. zusammen, einer Organisation, die sich auf die Jugend- und Behindertenhilfe spezialisiert hat und neben unterschiedlichen Ausbildungsangeboten auch Wohnangebote und Werkstätten bietet. Gemeinsam mit meinem Tandem Markus Kreutzer, einem systemischen Designer, haben wir uns auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten konzentriert, die KI-Systeme für Menschen auf dem Autismusspektrum innerhalb der Paulinenpflege bieten können.
Projektjahr
2023
Kunde
Bertelsmann Stiftung
Meine Rolle
Tech Expertin, freiberufliche Service Designerin
Team/ Tandem
Markus Kreutzer, Mitarbeitende der Paulinenpflege Winnenden
User Research
Observation
Interviews
Zukunftswerkstatt
Problem Mapping
AI Canvas
Service Design
Pitch Präsentation
Abbildung 1
Die Organisation
Durch die Analyse von Prozessstrukturen (Abb.1), dem Aufstellen einer Stakeholdermap (Abb. 2) und einer ausführlichen Führung durch die Räumlichkeiten und Angebote der Paulinenpflege Winnenden, haben wir uns ein Verständnis rund um die Organisation geschaffen. Besonders die internen Abläufe sowie die unterschiedlichen Klient:innen der Paulinenpflege haben uns interessiert.
Prozessmodelle
Zwei Prozesse der Paulinenpflege haben wir besonders in den Fokus gesetzt: Die Studienassistenz für Menschen mit Autismus, sowie das CCM (Care & Case Management). Diese Prozesse haben wir mit Hilfe der beiden Methoden "Service Blueprint" (Abb. 3) und "Customer Journey" (Abb. 4) visualisiert, um die Nutzerreise der Klient:innen im Zusammenhang mit den Arbeitsschritten der Paulinenpflege zu sehen. Beim Service Blueprint visualisiert man außerdem parallel zu den internen Schritten auch aktuell genutzte technische Systeme und weitere angehängte Prozessen. Die Methoden haben uns geholfen die Prozesse und Abläufe gesamteinheitlich zu verstehen und Probleme aus Sicht der Klient:innen aber auch der Mitarbeitenden der Paulinenpflege herauszuarbeiten.
Zukunftswerkstatt
Nachdem wir die Prozesse der Fokusbereich Studieassistenz und CCM verstanden haben, ging es weiter mit dem Workshopformat: Zukunftswerkstatt.
Die 'Zukunftswerkstatt' ist eine besondere Form der Zusammenarbeit und des Ideenaustauschs. Hier kommen Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Erfahrungen zusammen, um gemeinsam über die Zukunft nachzudenken und kreative Lösungen zu entwickeln. In diesem Fall haben wir eng mit den Klient:innen der Paulinenpflege zusammengearbeitet, um herauszufinden, wie KI ihr zukünftiges Leben bereichern könnte. Dabei haben wir in drei Phasen gearbeitet – eine Kritikphase, um aktuelle Probleme und Herausforderungen zu verstehen, eine Phantasiephase, um die Zukunftswünsche zu erfragen, und eine Verwirklichungsphase, um die Handlungsoptionen zu erarbeiten.
Problemfelder erkennen
Im ersten Schritt dokumentieren wir die Herausforderung der Klient:innen aber auch der Mitarbeitenden der Paulinenpflege (Abb. 5), um sie im zweiten Schritt mit einer Problem Map (Abb. 6) in einen Kontext zu stellen. Beim Problem Mapping schaut man, welche Herausforderungen zusammenhängen und wie sie untereinander verknüpft sind. Dadurch entstehen die Problemfelder wie z.B. in der oberen Abbildung rechts, das Feld "Arbeit".
Erste Ideen und Bewertung
Schon während der Befragung der Klient:innen und Mitarbeitenden der Paulinenpflege sowie der Zukunftswerkstatt sind viele Ideen entstanden die wir auf unserem Kollaborationsboard dokumentiert haben. Für die Priorisierung der Ideen haben wir zuerst mit der Problem Map abgeglichen, welche Idee die größte Hebelwirkung innerhalb der Problemfelder hätte. Die übrigen Ideen waren dann:
1) Der "Lotse" durch das Sozialsystem
Menschen mit Behinderung sind oft auf soziale Leistungen angewiesen. Für diese müssen Anträge ausgefüllt und Daten immer wieder angegeben werden. Der "Lotse" würde Menschen mit Behinderung unterstützen die passende Leistung zu finden und Anträge auszufüllen. Dazu gehört z.B. die Übersetzung von Anweisungen in leichte Sprache und die automatische Datenübernahme sowie eine intelligente Ausfüllhilfe.
2) Der "Lebensplaner"
Auch der "Lebensplaner" ist eine Idee, welche Menschen mit Behinderung bei der Beantragung von Leistungen unterstützen soll, indem sie mit Prognosen arbeitet. Diese Prognosen sollen helfen, Leistungen welche im Laufe des Lebens benötigt werden zu identifizieren und rechtzeitig ui beantragen. So kann z.B. schon im Kindesalter ein Platz für ein betreutes Wohnen gesichert werden.
3) "Universeller Übersetzer"
Diese Idee kam auf, da die Paulinenpflege auch unterschiedliche Ausbildungen für Menschen mit Behinderung anbietet, jedoch mit Fachliteratur arbeiten muss, welche nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Auszubildenden eingeht. Der Übersetzer würde je nach Einschränkung die Fachliteratur anpassen. So können Fachtexte z.B. auch in einfache Sprache umgewandelt oder als Audio abgespielt werden.
4) "Kommunikationshelfer"
Diese Idee entstand, da viele der Klient:innen mit Autismus ihre Herausforderungen in der menschlichen Interaktion und Kommunikation geschildert haben. Da die Herausforderung oft darin besteht, dass Missverständnisse durch fehlende Interpretation aufkommt, soll der "Kommunikationshelfer" bei Konversationen und Interaktionen helfen, indem z.B. eine Konversation in leichte Sprache übersetzt wird.
5) "Alltagshelfer"
Dieses Tool könnte mehrere Funktionen anbieten wie z.B. einen Planer mit Erinnerungsfunktion für Menschen mit Autismus oder Demenz, die Probleme haben ihren Alltag zu bewältigen. Alle Aufgaben und Termine werden entweder alleine oder mit fachlicher Unterstützung in das Tool eingetragen und der "Alltagshelfer" erstellt einen Plan welcher individuell an die Bedürfnisse des Menschen angepasst sind. So ist es z.B. wichtig bei manchen Autist:innen, dass der Planer immer die gleiche Struktur verwendet und bei einer Veränderung der Struktur, den Nutzenden darauf vorbereitet.
6) Der "Optionengenerator"
Bei dieser Idee geht es darum, im aktuell noch relativ starrem und standardisiertem System innerhalb der Job- und Ausbildungslandschaft (aber auch in weiteren Bereichen wie Freizeit) ein individuelles und flexibles Angebot für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Dazu werden z.B. Stellenausschreibungen genommen und mit den Fähigkeiten und Interessen der Menschen mit Behinderung abgeglichen. Aus dem Abgleich sollen neue Job Optionen generiert werden und Unternehmen bekommen z.B. durch Inklusionsleitfäden Werkzeuge zu Hand, mit welchen sie Inklusion reell umsetzen können.
Da die ersten zwei Ideen "Lotse" und "Lebensplaner" vor allem auf die Herausforderungen der Mitarbeitenden anstatt der Klient:innen zielte, haben wir diese erstmal ausgeklammert um den Fokus komplett auf die Klient:innen zu setzen. Die restlichen Ideen beschrieben wir in Ideen Templates (Abb. 7), sodass Nutzergruppe, Nutzen, Ziel, Vision und Roadmap ersichtlich sind. Mit Unterstützung der Ideen Templates bewerteten wir die Ideen dann nach den Faktoren Umsetzbare, Wirkungsorientierung, Refinanzierbarkeit und Skalierbarkeit (Abb. 8).
Die Bewertung machte deutlich, dass vor allem die Ideen "Alltagshelfer" und "Optionengenerator" das höchste Potential aufwiesen. Daher führten wir für diese Ideen eine kurze Wettbewerbsanalyse durch und sahen schnell, dass es schon einige Lösung gab, welche Richtung "Alltagshelfer" (explizit für Menschen mit Behinderung) ging.
Im Gegensatz dazu gab es für den "Optionengenerator" noch keine Lösung welche Menschen mit Behinderungen inkludiert.
Entstehung KRAK · E
Bei der Ausarbeitung der Idee des Optionengenerators haben wir auch die Funktionalitäten und den Prozess, wenn Optionen generiert werden, aufskizziert (Abb. 9). Das Tool würde so funktionieren, dass es zum einen die Fähigkeiten, Wünsche und Interessen sowie die Bedürfnisse der Klient:innen (z.b. Menschen mit Autismus) aufnimmt und mit Jobbeschreibungen von Unternehmen abgleicht. Gleichzeitig bekommen Unternehmen Tipps und Anleitungen, wie sie ihre Angebote inklusiver gestalten können. Durch die Anpassung der Jobprofile werden neue Optionen geschaffen welche nun auch inklusive sind und es besteht eine höhere Chance für Klient:innen mit den passenden Jobs zu matchen.
Da das Tool mit vielen Daten arbeitet und für Verknüpfungen und neue Möglichkeiten sorgt, fanden wir das Bild der Krake passend. Auch weil die Krake als "Datenkrake" ein negativ behaftetes Image hat, wollten wir hier eine Veränderung ins Positive hervorrufen, da die Daten in unserem Fall mehr Teilhabe in der Gesellschaft ermöglichen sollen.
Das AI Canvas
Da die Idee des "Optionengenerators" am höchsten bei der Bewertung abgeschlossen hat, haben wir diese Idee detailliert mit der Methode "AI Canvas" (Abb. 9) ausgearbeitet. Die Methode basiert auf dem "Business Modell Canvas" und ergänzt aber noch den Einsatz von KI. So ist es im AI Canvas z.B. wichtig die infrastrukturellen Voraussetzungen mitzudenken, da diese bei Einsatz von KI mehr bzw. spezielle Aufwände und Ressourcen benötigt als ein Projekt ohne KI. Es ist außerdem wichtig die beteiligten und benötigten Akteure genau zu überlegen um mit all den Informationen aus dem AI Canvas besser abschätzen zu können, was der Aufwand und die Kosten des Projektes sein könnten.
Service Blueprint - Soll Zustand
Um die Idee sowie Prozesse und Nutzerinteraktionen von KRAK · E für Außenstehende verständlicher zu machen, haben wir einen weiteren Service Blueprint erstellt. Dieser zeigt jedoch nicht einen vorhandenen Prozess, sondern skizziert grob auf, wie der zukünftige Prozess mit dem Einsatz von KRAK · E aussehen könnte. Als Nutzergruppe haben wir Menschen mit Autismus, die zum ersten Mal in Kontakt kommen mit KRAK · E. Zusätzlich sehen wir noch an welcher Stelle die KI im Tool zum Einsatz kommt und welche Aufgaben diese übernimmt. In der letzten Ebene haben wir noch die Anbinden, unsere sekundäre Nutzergruppe und ihre Aktionsschritte und Schnittstellen zu KRAK · E.
Am letzten Projekttag hat jedes Team seine Idee als "Pitch Präsentation" einmal in großer Runde bei der Bertelsmann Stiftung vor Ort vorgestellt. Die Runde bestand nicht nur aus unseren Teams und Projektpartnern, sondern auch aus Interessenten, weiteren Wohlfahrtsverbänden und Stakeholdern der Bertelsmann Stiftung.
Lass dich durch unseren Pitch von KRAK · E überzeugen!
Die "Tech Exploration" war eines meiner ersten Projekte in der Selbständigkeit und ich habe mich sehr gefreut, dass ich meine Expertise aus dem Service Design bei einem so gesellschaftlich wichtigem Projekt einsetzen konnte. Durch das Projekt habe ich viel über künstliche Intelligenz und den Einsatz von Algorithmen gelernt und sehe so viel Potential aber auch die rechtlichen und ethischen Diskussionen dahinter.
Aktuell suchen wir nach weiteren Fördermitteln und bewerben uns viel, um weiter an KRAK · E arbeiten zu können. Ausblickend können wir sagen, dass wir in den nächsten Schritten die Idee gerne als funktionalen Prototypen ausbauen und mit den Klient:innen der Paulinenpflege testen wollen.